Quelle: http://de.news.yahoo.com/050603/286/4kgfz.html
Freitag 3. Juni 2005, 06:58 Uhr
Islamia Primary School
London (AFP) - Man sieht es den Kleinen
nicht an, dass sie Teil eines kühnen gesellschaftlichen Experimentes sind. Die
210 Grundschüler der Islamia Primary School in London machen das, was ihre
Altersgenossen überall sonst auf der Welt machen: Sie schreien, tollen herum
und tummeln sich wild auf dem Spielplatz. Und doch gibt es einen Unterschied.
Die Grundschule hat sich zum Ziel gesetzt, ihre Schüler zu modernen Moslems zu
erziehen, die sich in die zeitgenössische britische Gesellschaft einfügen,
ohne ihre religiöse Identität zu verlieren. Kinder zwischen Mohammed und
McDonald's: "Wir bilden eine britisch-moslemische Identität heraus",
beschreibt Schulleiter Abdullah Trevathan das Projekt.
Als die Schule im Jahr 1983 von dem Sänger
Yusuf Islam alias Cat Stevens gegründet wurde, schlugen ihr zunächst viele
Vorbehalte entgegen. "Da gab es Ängste, wir würden hier
Unterrichtsstunden im Bau von Molotow-Cocktails abhalten", erinnert sich
Trevathan, ein zum Islam konvertierter Amerikaner. Das hat sich inzwischen geändert:
Als erste islamische Schule wird die Islamia School staatlich gefördert, in
Leistungs-Rankings landet sie im landesweiten Vergleich auf den Spitzenplätzen,
und auf der Warteliste für die 210 Plätze stehen aktuell die Namen von 3500
Kindern. Aus der exotischen Lehranstalt ist eine Art islamischer
Elite-Grundschule geworden.
Die Londoner Schule setzt bewusst ein
Gegengewicht zur religiösen Radikalisierung in Teilen der moslemischen Welt und
zu den Fundamentalisten, die den Islam einengen auf ein Instrument im
politischen Kampf. Zwar gehen die Schüler vom siebten Lebensjahr an gemeinsam
zum Gebet in die Moschee, sie lernen Arabisch, Mädchen tragen ab neun Jahren
den Schleier. Doch sei die Unterrichtsmethode "komplett westlich - rational
und empirisch", sagt Trevathan. "Wir machen hier Kentucky Fried
Islam."
Anders als in vielen Medresen der moslemischen Welt, wo die Kinder hauptsächlich
mit dem Auswendiglernen des Koran beschäftigt sind, dessen altertümliches
Arabisch sie nicht einmal verstehen, legt die Islamia School viel Wert auf
Diskussion, vernunftgeleiteten Meinungsaustausch und intellektuelles Kräftemessen.
Sie sieht sich in der Tradition der Scholastik und des Kartesianismus, zweier in
Europa entstandenen philosophischen Denkschulen, die den Gebrauch des
menschlichen Verstandes in den Mittelpunkt stellen. Schließlich hat auch der
Islam in früheren Zeiten Anleihen aus der rationalen hellenistischen
Philosophie genommen.
Dies ist laut Trevathan für die "Lösungen der Probleme im heutigen Großbritannien"
viel wichtiger als der Ansatz der Fundamentalisten, die angeblich gottgegebene
und damit unumstößliche Wahrheiten verkünden und so jede Diskussion von
vornherein unmöglich machen. Die Schule wolle eine Identität vermitteln, in
der sich die Vielfalt der großen islamischen Welt spiegele, sagt der Rektor.
Sein Islam sei "organisch, dynamisch und chaotisch".
Der Anspruch der Schule ist, mit ihrem Weltverständnis weit über den
begrenzten Kreis der 210 Schüler hinauszureichen. So könnten beispielsweise
die Eltern von ihren Kindern lernen, sagt Trevathan. Gegenwärtig kämpft er
dagegen an, dass sich die Moslems in Großbritannien ständig über
Benachteiligungen beklagen. "Im Moment ist es weit verbreitet in unserer
Gemeinschaft, sich als Opfer zu sehen", kritisiert er. "Es gibt zwar
Islamfeindlichkeit, aber wir sind schon auch selbst dafür verantwortlich",
wie die Briten ihre 1,6 Millionen moslemischen Mitbürger betrachten.